„Da packen wir echt ein heißes Eisen an“, sagt Helga Gund, Bezirksvorsitzende der Frauen Union Südbaden.
Bei der jüngsten Sitzung des Bezirksvorstands hat Gund die Historikerin und Autorin Karin Jäckel eingeladen. Thema: Die Willkür von Jugendämtern und die politischen Schlussfolgerungen daraus.
Der Fall des dreijährigen Alessio aus Lenzkirch, der - trotz mehrerer Warnungen durch Ärzte - bei seiner Familie blieb und vom Stiefvater totgeprügelt wurde, war allen Zuhörerinnen noch sehr präsent.
So entwickelte sich zwischen Referentin und Publikum eine spannende Diskussion. Die 69-jährige Karin Jäckel beschäftigt sich seit Anfang der 1970er Jahren immer wieder mit Jugendämtern. Ihr Schlüsselerlebnis war die vorübergehende Aufnahme eines 15-jährigen Jungen aus dem Heim während ihrer eigenen Studentenzeit.
Die „schrecklichen Erfahrungen aus erster Hand“ lassen sie bis heute nicht los, wie sie sagt. Jäckel ist in erster Linie als Kinderbuchautorin bekannt, sie befasst sich aber auch wissenschaftlich mit Familienthemen. Dabei weist sie in puncto Jugendamt auf mehrere Missstände hin. Es gibt bundesweit etwa 600 Jugendämter, die allesamt kommunal verwaltet werden.
Die Kindesentziehung ist eine staatliche Wächteraufgabe der Jugendämter, sie kann zum Beispiel auf Bitten der Kinder oder der Eltern angeordnet werden. Eine Kindesentziehung erfolgt, vereinfacht gesagt, dann, wenn die Jungendamtsmitarbeiter zu dem Schluss kommen, dass das Kindeswohl gefährdet ist. Und genau an diesem Punkt setzt die Kritik von Jäckel an. Für das „Kindeswohl“ gibt es bisher keine rechtlich verbindliche Definition. Noch entscheiden die Mitarbeiter der Jugendämter nach den Regeln ihres Hauses und ihrer Einschätzung. So kann es am Ende zu recht subjektiven Entscheidungen kommen, die schlimmstenfalls tödlich oder auch mit schweren Folgen für die Familien enden können. In den vergangenen Jahren haben sich die Verfahren zur Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls fast verfünffacht. Waren es 2007 noch 28.200 Verfahren, stieg die Zahl 2016 auf knapp 137.000 Verfahren an. Eine Definition des Kindeswohls, so ist sich Jäckel sicher, würde zu objektiveren Entscheidungen bei den Jugendämtern führen und auch den Mitarbeitern in den Jugendämtern eine große Hilfe sein. Sie betont nämlich ausdrücklich, dass Jugendämter und ihre Mitarbeiter dringend gebraucht werden, um im besten Interesse der Kinder zu handeln.
„Die meisten Jugendamtsmitarbeiter kommen dieser Aufgabe mit viel Herzblut nach.“ Darüber hinaus fordert Jäckel eine neutrale, nicht kommunale und nicht verwaltungsrechtliche Fachaufsichtsinstanz. Derzeit können Eltern, die mit der Entscheidung des Jugendamts zum Kindeswohl nicht einverstanden sind, vor Gericht ziehen. Allerdings haben sie meist kaum eine Chance, Recht zu bekommen. Die Gerichte ziehen in der Regel die zuständigen Jugendämter als Ratgeber hinzu. Somit kommt es in den seltensten Fällen zu Entscheidungen gegen das Jugendamt. In der anschließenden Diskussion berichten die Mitglieder des Bezirksvorstands von ihren Erfahrungen im jeweiligen Heimatort. Einig sind sich die Frauen, dass in vielen Jugendämtern ein großer Personalmangel herrscht und dass es die Mitarbeiter der Jugendämter nicht leicht haben. Aber, so fasst es Helga Gund zusammen: „Wenn etwas so schief läuft wie im Fall Alessio, dann gibt es immer einen Fehler im System.“ Daher fordern die Frauen des Bezirksvorstands der Frauen Union Südbaden eine rechtlich gültige Definition des Kindeswohls und eine neutrale, außergerichtliche Aufsichtsinstanz für die Jugendämter.